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Hartnäckig hält sich das Gerücht, diese Erzählung wäre ein Terroristen- Roman ; erst kürzlich hat ein angesehener Professor für Informatik das Gerücht fortkolportiert: offenbar scheut auch er es, sich zu informieren ; da wäre die Frage zu stellen: wie informiert sich ein Informatiker? Aus dem »Hörensagen«, aus zweiter, dritter oder gar sechster Hand? Natürlich will ich niemandem zumuten, die 10 Erzählung zu lesen, aber wenn sich ein Zeitgenosse mit der hohen Verantwortung eines Informatikers, der Informatik lehrt , über einen Gegenstand äußert, sollte er sich doch informieren können. Es gibt in dieser Erzählung nicht einen einzigen Terroristen, auch keine Terroristin; was es allerdings gibt, das sind des Terrorismus Verdächtige , und ich bin der bescheidenen Meinung, auch ein Informatiker könnte den Unterschied kennen zwischen einem Verdächtigen und einem Überführten. Wer auch nur zehn Jahre zurückzudenken imstande ist, wird sich der Jahre erinnern, in denen eine ZEITUNG Verleumdungen und Verdächtigungen ausstreute; dieselbe ZEITUNG, die dutzendweise Menschen als Mörder bezeichnete, denen noch kein Mord nachgewiesen worden war.

Erst kürzlich mußte unser gegenwärtiger Familienminister eine Meldung dieser Zeitung dementieren, die eine verteufelte Ähnlichkeit mit der ZEITUNG hat. Erst wenn sie Ärger mit Zeitungen bekommen, bemerken Politiker, auf welche Zeitung sie sich eingelassen haben - und doch lassen sie sich immer wieder ein. Es ist wirklich verlorene Zeit, über gewisse Zeitungen noch ein Wort zu verlieren.

Über diese Erzählung ein Wort verlieren? Ich will's versuchen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ich hätte dieses erzählerisch verkleidete Pamphlet längst vergessen, würde ich nicht hin und wieder durch völlig desinformierte Informatiker daran erinnert; ein Pamphlet, eine Streitschrift, war's nämlich, war als solches gedacht, geplant und ausgeführt, und gerade die Abendländer, humanistisch gebildet, wie sie nun einmal sind, hätten doch wissen müssen, daß Pamphlete zur besten abendländischen Tradition gehören; ich bin ja nun auch einer aus dem Abendland und habe sogar andeutungsweise eine gewisse humanistische Bildung. Also, möglicherweise vergessen hätte ich dieses als Erzählung verkleidete Pamphlet gegen die ZEITUNG, würde ich nicht hin und wieder - und nicht nur von »Rechten«, auch von solchen, die sich »links« dünken - in vorwurfsvollem Ton daran erinnert, daß ich eben diesen Terroristen- Roman (der gar keiner ist - weder ein Roman noch kommen Terroristen darin vor) geschrieben habe. Die »Rechten« ärgern sich sowieso, die »Linken« ärgern sich, weil der Roman doch nun einmal in einer Zeit »spielt«, in der wir eine halblinke (oder sollte ich sagen pseudohalblinke?) Regierung hatten. Vorzuwerfen habe ich mir nur eins: daß dieses Buch fast zu harmlos ist. Es ist ja nicht mehr als eine Liebesgeschichte mit dem »Handlungskern« (englisch und einfacher ausgedrückt, mit dem »plot«) eines Groschenheftes: ein »einfaches Mädchen« (oh, hätte ich je einen einfachen Menschen kennengelernt, noch kenne ich keinen!), ein besseres Dienstmädchen, verliebt sich in einen Menschen, von dem sich später herausstellt, daß er von der Polizei gesucht wird. Ihrem Charakter nach hätte sie sich sogar in ihn verliebt, wenn sie vorher gewußt hätte, daß er von der Polizei gesucht wird. Das gibt es. Die Liebe ist ja nun einmal eine verflucht merkwürdige Sache. Es gibt Frauen, die Verbrecher lieben, nicht weil, sondern obwohl sie Verbrecher sind. Verfluchte Tatsache, die der ZEITUNG, die nur ihre eigenen Verbrechen liebt und jegliche Tatsache verfälscht, nicht gefällt und nicht einleuchtet. ZEITUNG ist derart vollgesogen mit Verlogenheit, daß in ihr sogar eine unverfälschte Tatsache als Lüge erscheinen würde. Kurz gesagt: sie zieht sogar die Wahrheit in den Dreck, wenn sie sie »wahrheitsgemäß« wiedergibt. Wenn sie schreiben würde: DIE ROSEN BLÜHEN WIEDER, würden mich Zweifel befallen, auch wenn ich vor einem blühenden Rosenbeet stünde. Das Sprichwort: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht« müßte man in diesem Fall abwandeln: »Wer tausendmal lügt, dem glaub ich nicht, auch wenn er einmal die Wahrheit spricht.« Im Falle der tatsächlich blühenden Rosen müßten einem diese nun wirklich schönen Blumen leid tun, weil sie der Verlogenheit als Alibi dienen müssen.

Diese Katharina Blum, die noch nicht viel Liebe erfahren hat, diese fleißige, tüchtige, völlig unpolitische Person, die sich, ökonomisch betrachtet - und das aus eigener Kraft und Planung - im Aufschwung befindet, ja, sie ist das verkörperte Wirtschaftswunder, mit Auto, Eigentumswohnung und einigen Ersparnissen - ihr Auge fällt auf diesen Ludwig Götten, und der ist ihrem Auge wohlgefällig. Frauen, die ein Auge auf jemand werfen, haben nicht immer alle 10 gängigen Steckbriefe in ihrer Handtasche, tragen auch nicht das Strafgesetzbuch, nicht einmal das Bürgerliche Gesetzbuch ständig mit sich herum. Schlimm wird die Sache, weil ihre Liebe erwidert wird! Das weiß doch jeder, wie hoch die Flammen schlagen, »wenn zwei sich lieben«. Und Götten, der wirklich Straffällige - er ist ein Defraudant und Deserteur -, ist tatsächlich »der Liebe fähig«! Konflikte (siehe den Gang der Erzählung!) sind unvermeidlich, zumal dieses »einfache Mädchen« (wo gibt es eins, wo?) zwei weitere verfluchte Eigenschaften hat, die in allen Sagen und Märchen hochgepriesen werden: TREUE und STOLZ. Die Situation ist nicht mehr nur konfliktgeladen, sie wird explosiv. Da liegt Dynamit in der Gegend herum, und die ZEITUNG, diese zerstörerische verlogene Überschnauze, die sowohl der Polizei Informationen liefert wie von der Polizei solche bekommt (das gibt es, und bei solchem Austausch werden lächerliche Kleinigkeiten zu Verdachtsmomenten), haut rein mit Schlagzeilen, Verdächtigungen, Verleumdungen, Gemeinheiten; da blühen keine Rosen, das »einfache Mädchen«, das sich inzwischen wirklich strafbar gemacht hat, indem es seinem Liebsten zur Flucht verhilft, es verliert seine Ehre, seine Würde. Sie verhilft ihrem Liebsten nicht nur zur Flucht, übergibt ihm auch noch den Schlüssel zu einem Versteck, den ihr irgendein Kerl, der einmal vergebens hinter ihr her war und der ihr zu allem Überfluß auch einmal einen verhängnisvoll teuren Ring schenkte, zugesteckt hat, weil er - vergebens, dieser Feigling! - auf ein Rendezvous gehofft hat. Wie sie an den Schlüssel gekommen ist, das ist ein kleiner Krimi im Krimi. Katharina macht sich - und da kommt wieder der Groschenroman zum Vorschein! - »aus Liebe strafbar«. Das gibt es. Es ist ein uraltes Motiv der Kriminal-Literatur. Und da nun die ZEITUNG vor nichts zurückschreckt, sie der ZEITUNG auch den Tod ihrer Mutter zuschreiben muß und der Reporter nun gar nicht versteht, warum sie so böse auf ihn ist, explodiert sie. Er hat sie doch immerhin berühmt gemacht, und nun könnte man doch gemeinsam an ihrer Geschichte »absahnen«, das heißt: nachdem man sie fix und fertig gemacht hat, könnte man jetzt ihre »wahre« Geschichte veröffentlichen, die natürlich ebenso verlogen ausfallen würde, wie alles »Wahre«, was in der ZEITUNG steht. Wahrscheinlich gibt diese fürchterliche »Unschuld« des Reporters, der doch nur seine Pflicht getan hat, indem er der ZEITUNG Schlagzeilen und Sensation lieferte und jetzt einer anderen Zeitung wahrscheinlich die »wahre« Geschichte liefern möchte - diese fürchterliche »Unschuld«, ja fast Ahnungslosigkeit des Reporters -, es könnte sein, daß sie den Ausschlag gegeben hat für Katharinas Griff zum Revolver. Sie hatte noch begriffen, daß die ZEITUNG gemein ist diese »unschuldige« Gemeinheit muß ihr den Rest gegeben haben. Ein »einfaches« Mädchen verzweifelt und begeht eine Verzweiflungstat, einen Mord, der im Groschenheft »Bluttat« heißen würde. Ob sie die Absicht hatte, den Reporter zu töten? Immerhin, sie hat sich die Pistole besorgt. Mag das Strafgesetzbuch wirksam werden. Es gibt nicht nur Konflikte, die tödlich enden; es gibt Konflikte, die, wenn man einem Menschen zuviel zumutet, unerbittlich auf ein tödliches Ende zulaufen. Das ist auch im Abendland bekannt und könnte sogar Informatikern bekannt werden.

Wichtig ist: die Erzählung hat nicht nur einen Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum , sie hat auch einen Untertitel: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann . Über die Gewalt von SCHLAGZEILEN ist noch zu wenig bekannt, und wohin die Gewalt von Schlagzeilen führen kann, darüber wissen wir nur wenig. Es wäre eine Aufgabe der Kriminologie, das einmal zu erforschen: was ZEITUNGEN anrichten können, in all ihrer bestialischen »Unschuld«. Aber die Erzählung hat nicht nur Titel und Untertitel, sie hat auch ein Motto: »Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild -Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.« Titel, Untertitel, Motto, diese drei scheinbaren Kleinigkeiten, sind wichtige Bestandteile der Erzählung. Sie gehören dazu. Ohne sie ist die pamphletistische Tendenz- und das ist fürwahr eine Tendenz-Erzählung! - nicht verständlich.

Wer sich mit dieser Erzählung beschäftigt, sollte sich zunächst mit diesen drei vorgesetzten Elementen beschäftigen, sie sind schon fast eine Interpretation. Eine Hamburger Schulklasse ließ mich neulich durch ihre Lehrerin fragen, was denn »weiter passieren würde«, wenn Katharina und Ludwig »eigentlich« 1982 aus dem Gefängnis kommen müßten. Eine gute Frage, die ich mir noch nie gestellt habe. Nun, da die beiden nie Terroristen waren, werden sie wohl kaum jetzt dazu werden. Katharina würde wahrscheinlich länger sitzen müssen als Ludwig. Sie würde vielleicht zunächst in der Küche, später wohl in der hauswirtschaftlichen Planung des Gefängnisses arbeiten, Ludwig bevollmächtigen, gemeinsam mit dem Anwalt Blorna ihr Vermögen zu versilbern und sich schon einmal nach einem kleinen Hotel umzusehen, das sie gemeinsam betreiben könnten. Ludwig und ein paar Freunden wird sie gestehen, daß sie nicht vorhatte, Tötges zu töten, daß es plötzlich »über sie kam«, als er ihr - in all seiner fürchterlichen Unschuld - kommerziell kam und auch sexuell. Er war ihr vollkommen fremd - und sie sich selbst. Natürlich weiß sie, daß sie eine Mörderin ist, und das ist der Grund, warum sie keine Kinder haben will. Sie möchte nicht, daß den Kindern einmal nachgesagt und nachgerufen wird, daß ihre Mutter eine Mörderin sei. Ich würde ihr raten, einen anderen Namen anzunehmen, sich das Haar, wenn sie blond ist, schwarz, und wenn sie schwarzhaarig ist, blond zu färben. Je älter sie wird, desto schwerer wird sie's mit sich selbst haben; sie ist eine äußerst gewissenhafte Frau auch wenn sie einen Mord begangen hat. Das gibt es, und ich hoffe, daß Ludwig ihr ein guter Gefährte ist.

Übrigens war die Reaktion der Presse, die sich getrost als mit diesem Buch »gemeint« verstehen konnte, nicht nur - verständlicherweise!- böse, sondern streckenweise geradezu albern. Man verzichtete auf die wöchentliche Bestseller-Liste, weil man das Buch hätte nennen müssen. Auch mächtige Imperien sind nicht immer so souverän, wie sie tun. Der Papst des Imperiums ließ sich zu einer direkten Klage nicht herab. Er schickte seine Ministranten vor, seine Kardinäle - bei Papstmessen ministrieren ja auch gelegentlich Kardinäle. Gebüßt habe ich, bereut nichts.

P. S.
Inzwischen ist die Bild -Zeitung ja fast schon das regierungsamtliche Blatt. Ministerielle Verlautbarungen zu wichtigen politischen Themen erscheinen am Sonntag oder Montag in einer der Bild -Varianten. Zufall ist das nicht.