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Hinweise

Heinrich Böll und der deutsche Film: eine Leidensgeschichte

«Warum ausgerechnet Heinrich Böll dem ‹neuen deutschen Film› immer wieder zum Opfer fällt, mag der Himmel wissen; verdient hat er es sicher nicht», schrieb Urs Jenny 1966 in der Zeitschrift «film», Heft 3. Tatsächlich ist es eine unglückselige Geschichte, die bisher noch nicht erzählt worden ist.


Es hatte verheißungsvoll begonnen. Der deutsche Film befand sich auf dem Tiefpunkt, es regierte das sogenannte «Schnulzenkartell», und diese Herrschaften wollten, schon aus politischen Gründen, nichts mit Böll zu tun haben. Am 28. Februar 1962 sagten 26 Jungfilmer der Altbranche den Kampf an und erklärten «Papas Kino» für tot. Zu den Unterzeichnern des «Oberhausener Manifests» gehörte Herbert Vesely, der seit drei Jahren sich vergeblich bemühte, für die Verfilmung von Bölls Erzählung «Das Brot der frühen Jahre» einen Produzenten zu finden. Nun jedoch war seine Stunde gekommen.


Die «Neue deutschen Welle» wurde ausgerufen, und tatsächlich orientierte sich Vesely an der «Nouvelle Vague» und Filmen wie «Hiroshima, mon amour»  oder »Letztes Jahr in Marienbad». Er verlegte die Handlung von Köln nach Berlin und ging auch sonst recht frei mit der literarischen Vorlage um. Er wollte die als Monolog verfasste Erzählung «optisch auffächern» und «in sechs Perspektiven und sechs Spiegelungen aufschneiden», woraufhin Böll, kolportierte «Der Spiegel», beunruhigt nachgefragt haben soll: «Aber es gibt doch auch Text?»


Es gab auch Text,  aber den hatte Vesely gründlich umgekrempelt. Vom Titel-Motiv zum Beispiel war kaum etwas übrig geblieben. In Bölls Erzählung beurteilt Fendrich seine Mitmenschen danach, ob sie ihm während der Hungerzeit nach dem Kriege wohl Brot gegeben hätten oder nicht. Vesely zum «Spiegel»: «Davon ist jetzt nichts mehr drin. Aber es war eine ganz schöne Arbeit, diesen Mief herauszubringen.» Böll nahm es gelassen, er besuchte die Dreharbeiten, ließ sich im Schneideraum fotografieren. Die Illustrierten freuten sich: «Endlich können wir also einmal feststellen, dass ein deutscher Film Anschluss an das fortschrittliche internationale Filmschaffen als auch an die moderne deutsche Literatur sucht.» 


Der Film wurde nach Cannes eingeladen: Uraufführung im Wettbewerb des wichtigsten internationalen Filmfestivals. Danach, prophezeite die Zeitschrift «Filmkritik», «werden wir wissen, ob der deutsche Film wider alle Skepsis doch noch imstande ist, einen Beitrag zur Weltkinematographie zu leisten». Antwort: negativ. «Das Brot der frühen Jahre» fiel in Cannes glatt durch.


Im deutschen Kino erging es dem Film nicht viel besser. «Mit Böll hat diese Böll-Verfilmung so gut wie nichts mehr gemein», befand unisono die Kritik. Der Romancier stand aber loyal zu dem Film. Er hatte den Reinfall in Cannes durchlitten, und er kam auch zur deutschen Erstaufführung ins Kölner Kino «Lux am Dom». «Böll sagte bei einem Empfang nach dem Film, dass auch er Schnitte in diesem Streifen begrüßen würde», berichtete die «Frankfurter Allgemeine». «Die letzten zwanzig Minuten der Vorführung habe er geschwitzt. Er bekannte sich fairerweise zu dieser Verfilmung und sagte, er sei bereit, sofort wieder mit diesem Team zusammenzuarbeiten.»


1962 war kein gutes Jahr für den deutschen Film. Bei der Bundesfilmpreisverleihung am 24. Juni konnte kein 1. Preis vergeben werden. Der 2. Preis – immerhin 350.000,- DM; der ganze Film hatte nur 400.000,- gekostet – ging an den «schief gegangenen Neue-Welle-Krampf von Herbert Vesely». Die Presse war entrüstet: «Viel Geld für ‹trockenes Brot›.» 


Herbert Vesely rettete den deutschen Film nicht. Vier Jahre später traf ein anderer, ähnlich ambitionierter Jungfilmer auf den Plan, der für sein Debüt ebenfalls Böll wählte: Jean-Marie Straub. Der Franzose war, weil er nicht für Frankreich in den Algerienkrieg ziehen wollte, desertiert und nach Deutschland geflohen. Schon das sicherte ihm Bölls Sympathien: Er schenkte dem jungen Mann die Rechte an seiner Erzählung »Hauptstädtisches Journal», das Straub unter dem Titel «Machorka-Muff» zu einem recht eigenwilligen Kurzfilm verarbeitete. Danach machte er sich, zunächst mit dem Einverständnis des Autors, an die Verfilmung von «Billard um halbzehn». Die Rechte lagen bei dem Verlag Kiepenheuer & Witsch, doch darum scherte sich der Filmemacher nicht.


Straubs «Nicht versöhnt» ist so wenig eine Böll-Verfilmung wie Veselys «Brot der frühen Jahre»,  hat es aber geschafft, sich einen Platz in der bundesdeutschen Filmgeschichte zu sichern: als angeblicher Zensurfall, sollte doch auf Betreiben des Verlags die Vorführung verboten, ein Filmkunstwerk zerstört werden. Eine regelrechte Kampagne wurde inszeniert, Protesttelegramme verschickt, in denen die angedrohte «Vernichtung eines Kunsterzeugnisses» als ein «Akt der Barbarei» angeprangert wurde, wie man ihn «nur aus der Praxis kunstfeindlicher Diktaturstaaten» kenne ... Der verfolgte Künstler musste mit den Filmrollen in die Schweiz flüchten ...


Ganze Bücher sind über diesen Casus erschienen, doch schaut man in den Vertragsordner, stellt sich der Fall doch etwas anders da.


Letztlich handelt es sich schlicht um eine Urheberrechtsverletzung, gegen die der Verlag einschreiten musste. Mit allerlei Tricks, moralische Erpressung eingeschlossen, versuchte Straub, die Rechte sich zu erschleichen und dann, als dies nicht funktionierte, schuf er rasch Tatsachen und lancierte über die Presse, dass ein Werk der Filmkunst unterdrückt werden sollte.


Es beginnt mit der simplen, bei Joseph Witsch jedoch nicht verfangenden Masche, den Verleger als Schauspieler (Laiendarsteller) in das Projekt zu ziehen. Witsch stand, nach Ansicht von «Machorka-Muff», Straubs Plänen äußerst reserviert gegenüber. «Wir können uns keine Experimente mit einem Böll-Stoff mehr erlauben. Wenn es noch einen Böll-Film geben wird, dann nur in ungewöhnlicher Beschaffenheit und nur international und nur glänzendst besetzt und nur mit ei­nem Drehbuch, das tatsächlich die Essenz des Romans in einem Film verwirklicht», schrieb er an Straub. Aber Böll, den der Filmemacher massiv bedrängte, setzte sich für Straub ein, und so einigte man sich darauf, zunächst eine Probeszene zu drehen und danach zu entscheiden.


Straub lieh sich Geld zusammen und ging ans Werk. Im Branchenblatt «Filmecho» war zu lesen, Straub, der zusammen mit Böll das Drehbuch geschrieben habe, habe in Köln mit den Dreharbeiten begonnen. Witsch sah sich genötigt, den Sachverhalt richtig zu stellen: «Dem Regisseur Jean-Marie Straub ist von Autor und Ver­leger erlaubt worden, eine Szene des Romans ‹Billard um halbzehn› zu drehen, da er sich in einer liebenswürdigen Besessenheit auf diesen Stoff konzentriert hat, ohne dass zwischen Autor und Verleger und Regisseur oder einer Produktionsgesellschaft, für die Herr Straub arbeitet, ein Berechtigungsvertrag abgeschlossen worden ist. Die Probeszene, die Herr Straub jetzt dreht, ist für Autor und Verlag rechtlich unverbindlich, vielleicht aber eine über­zeugende Demonstration des Regisseurs, dass sein Drehbuch, welches von Autor und Verlag nicht ohne Kritik aufgenom­men worden ist, den Ansprüchen des Romans genügt. Wenn das mit der gedrehten Szene bewiesen werden kann, kann die Diskussion über einen Film ‹Billard um halbzehn› un­ter der Regie von Jean-Marie Straub begonnen werden.» Besonders ärgerte Witsch sich über die    keineswegs der Wahrheit entsprechende Behauptung, Böll sei am Drehbuch beteiligt.


Die sogenannte Probeszene war bereits 30 Minuten lang, und Straub machte einfach weiter. Witsch erfuhr durch einen Zeitungsartikel davon und verlangte ultimativ  die Ein­stellung der Arbeit, schließlich gab es keinen Vertrag. Doch als er diesen Brief formulierte, war «Nicht versöhnt» längst fertig und sogar bereits gezeigt worden –  die Auswahlkommission der Berlinale hatte den Film abgelehnt, worauf Straub eine Sondervor­führung am 4. Juli 1965 in Berlin organisierte.


Als drei Tage später Witsch davon erfuhr, setzte er ein geharnischtes Schreiben auf: «Ich werde sofort zwei weitere Klagen gegen Sie ein­reichen: eine Schadensersatzklage wegen Verletzung des Urheber­rechts und erheblicher Schädigung des Verlags und des Autors und eine einstweilige Verfügung, die Sie zwingt, unautorisiert herge­stelltes Filmmaterial an uns zurückzugeben bzw. zu vernichten.» Diese Drohung bewog Straub, das Filmma­terial in die Schweiz zu bringen.
Am 1. Dezember erfolgte eine nachträgliche Legalisierung des bereits gedrehten und uraufgeführten Films. Mit einem von beiden Parteien unterzeichneten Vertrag übertrug Kiepenheuer & Witsch Straub die Rechte, verpflichtete ihn aber gleichzeitig, im Vorspann folgende Präambel zu zeigen: «Dieser Film wurde nach dem Roman ‹Billard um halbzehn› von Heinrich Böll  gedreht. Autor und Verlag  sehen sich außerstande, den Film ‹Nicht versöhnt› als angemessene filmische Wieder­gabe des Romans anzusehen. In Anerkennung des experi­mentellen Charakters des Films haben Heinrich Böll und der Verlag Kiepenheuer & Witsch den Film für eine Lauf­zeit von drei Jahren freigegeben.» Dieser Text, so bestimmte es die Vereinbarung, war «solange, und zwar deutlich sichtbar zu halten, bis ein schnell Lesender zweimal von Anfang bis Ende ihn durchgelesen haben kann».


Die Que­relen waren damit nicht beendet; sie belasteten Böll sehr, der in einem Offenen Brief an die «Frankfurter Allgemeine» bitter resümierte: «Es war nicht Altruismus, noch weniger Idealismus, sondern es ent­sprang der Verachtung des herkömmlichen Filmgewerbes, dass ich bisher drei ‹Stoffe› verschenkte (auch das ‹Das Brot der frühen Jahre› war verschenkt, denn es brachte dem Urheber weitaus weniger, als der übliche ‹Sekt-mit-Imbiss-Empfang› bei einer Filmpremiere kostet. Dem Produzenten brachte es eine Prämie, mit der er zum Teil dann ‹Die Tote von Beverly Hills› drehte. Selten so jelacht, Herr Minister!).»


Aber dies war nicht das Ende der schwierigen Beziehungsgeschichte Heinrich Böll und der deutsche Film. Fortsetzung folgt.

 



Heinrich Böll Serigrafie mit original handschriftlichen und zeichnerischen Elementen.

Limitierte Auflage auf 250g Somerset Velvet Premium Cotton Büttenpapier.

Nummeriert und signiert in einer Auflage von 100. Die limitierte Edition wird ohne Rahmen und in einer festen Versandhülse geliefert. Illustriert, designed und von Hand im Siebdruckverfahren von Kikisoso Creative in Köln gedruckt.

KOSTENFREIE LIEFERUNG INNERHALB DEUTSCHLAND

Format: approx. 37cm x 55 cm
Bedruckte Fläche: 28cm x 36cm
Papier: Somerset Velvet Premium Cotton Büttenpapier



Mit dem Erscheinen der letzten drei von insgesamt 27 Bänden hat das von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstütze Editionsprojekt nach neun Jahren seinen Abschluss gefunden. Wer das Schicksal zahlreicher Editionsprojekte kennt, die nach etlichen Jahren der Förderung nicht einen Band herausgebracht haben, kann die hier erbrachte Leistung ermessen.

Die im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Ausgabe bietet sämtliche zu Lebzeiten Heinrich Bölls publizierten Texte in gattungsübergreifender, der Chronologie ihrer Veröffentlichung entsprechender Reihenfolge. Die aus dem Nachlass in dieser Ausgabe erstmals veröffentlichten Texte wurden gemäß ihrer Entstehungszeit aufgenommen.

Jeder Band enthält einen editorischen Anhang mit Informationen zur Textentstehung, zum zeitgeschichtlichen und biographischen Hintergrund sowie einen ausführlichen Stellenkommentar, der die zeitgeschichtlichen Verweise erläutert. Ein Personen- und Titelregister sowie ein Literaturverzeichnis schließen jeden Band ab.

Das Projekt einer kommentierten Werkausgabe Heinrich Bölls war von Anfang an auch ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung. Schon vor dem eigentlichen Start zu der nun vorliegenden Ausgabe initiierte sie im Mai 1995 ein editionswissenschaftliches Kolloquium. An dieser Kölner Konferenz, die ohne die Unterstützung der Erbengemeinschaft Heinrich Bölls sowie des Heinrich-Böll-Archivs der Stadt Köln, namentlich ihres Leiters Viktor Böll, nicht zustande gekommen wäre, diskutierten die Herausgeber namhafter Großeditionen wie u.a. der Brecht-Ausgabe, der Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists, die Herausgeber der Editionen von Günter Grass und Uwe Johnson die Anforderungen, denen eine Werkausgabe Heinrich Bölls gerecht werden müsste.

Den nächsten Schritt und gleichsam den Auftakt zur Kölner Ausgabe in der nunmehr vorliegenden Form unternahm die Stiftung 1998 mit der Publikation der Broschüre Einem Autor folgen… Die in Kooperation mit der Erbengemeinschaft entstandene und im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Einführung zur Kölner Ausgabe präsentiert die Editionsprinzipen und demonstriert am Beispiel von zwei Probetexten den Aufbau des wissenschaftlichen Anhangs.

Im Jahr 2001 folgten dann die maßgeblichen Schritte zur technischen Realisation der Ausgabe. Von der Herstellungsleitung des Verlags angestoßen und weitergeführt von zwei Informatikern der Universität Siegen, wurde eine spezielle Software entwickelt, die es ermöglicht, das gesamte erschlossene Korpus in einer umfangreichen digitalen Datenbank zu sichern und zur Grundlage für alle zukünftigen Ausgaben zu machen.  Zudem stellte die an der Siegener Universität eingerichtete Arbeitsstelle eine zentrale digitale Arbeitsplattform zur Verfügung, die die Kommunikation zwischen den über verschiedene Länder verteilten Herausgebern erleichterte.

Parallel dazu wurden von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem Heinrich-Böll-Archiv der StadtBibliothek Köln, der Erbengemeinschaft und der Universität Siegen regelmäßig Editionskonferenzen veranstaltet, die speziell der Vorbereitung der jeweils vom Editionsplan vorgesehenen Bände galten. Neben der Besprechung von editorischen Einzelfragen, die sich für jeden Band neu stellten, widmeten sich vor allem die ersten Konferenzen der Sichtung und Auswertung des von Annemarie und René Böll zur Verfügung gestellten und bis zur Übergabe an das Historische Archiv der Stadt Köln 2009 im Besitz der Erbengemeinschaft befindlichen Privatnachlasses. Im Gespräch von Herausgebern und Erbengemeinschaft konnte so aus dem in diesem Nachlass überlieferten Fundus von Texten eine repräsentative Auswahl geschaffen werden, die Heinrich Bölls Schreibanfänge in den 1930er Jahren dokumentiert.

Im November 2002 erschienen die ersten drei Bände der Ausgabe. Im festlichen Rahmen wurden sie vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Räumen des Wallraf-Richartz-Museums vorgestellt. Seitdem erschienen in insgesamt sieben weiteren Folgen jährlich zur Buchmesse drei weitere Bände. Mit der Präsentation der neunten Lieferung, wiederum im November, findet die Ausgabe im Beisein von Staatsminister Bernd Neumann als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien in einem festlichen Akt in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin ihren Abschluss.

Das Editionsprojekt der Kölner Ausgabe hat vielfache Förderung erfahren. Neben der Erbengemeinschaft Heinrich Böll, der Stadt Köln und dem Heinrich-Böll-Archiv der StadtBibliothek Köln sowie der Universität Siegen vor allem durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Kunststiftung NRW sowie der Sparkasse KölnBonn. Ihnen sei an dieser Stelle dafür herzlich gedankt.

Die Heinrich-Böll-Stiftung möchte den Abschluss der Ausgabe zum Anlass nehmen, einen besonderen Dank an René Böll auszusprechen. Nicht nur als Vertreter der Erbengemeinschaft, sondern als begleitender Leser des Kommentars und stets hilfsbereiter Ansprechpartner, dessen Hinweise und Anregungen in vielen Einzelfragen zu Klärung und besserem Verständnis beitrugen, hat er das Gelingen dieser im wahrsten Sinne des Wortes großen Ausgabe in nur neun Jahren entscheidend mit befördert.